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Rückblick: Mit dem Bus zum Hausbesuch Soziokultur
Im September und Oktober fuhren wir mit dem Kulturbus zum Hausbesuch Soziokultur in die Thüringer Ecken und Zipfel. Wir besuchten spannende Kulturprojekte und trafen überaus engagierte Kulturmacher:innen. Es zeigte sich mal wieder: Auch jenseits der urbanen Zentren gibt es jede Menge kulturelle Energie – und das unter oft nicht einfachen Bedingungen!
TOUR NORD: Freiheit, Baustellen & Clubkultur
Mühlhausen – Nordhausen – Bad Frankenhausen | 01.10.2022
Auf der ersten Tour gings ins Nordthüringische. In Mühlhausen erwarteten uns die Jungs vom mühlhäuser cooltur e.V., die seit Anfang des Jahres die altehrwürdige Kulturfabrik Mühlhausen zu neuem Leben erwecken, nachdem die bisherige Pächterin coronabedingt aufgegeben hatte. Hell und freundlich strahlt der hohe, frisch renovierte Veranstaltungsraum der ehemaligen Gerberei mit Bühne und Barbereich. Zwar ist noch nicht alles fertig – erste Veranstaltungen und Vermietungen hat es aber schon gegeben. In den nächsten Wochen soll es dann richtig losgehen.
Weiter gings nach Nordhausen. Zunächst machten wir einen Abstecher in die „Jazzmangel“ (ja, hier wurde früher Wäsche gemangelt!), der neuen Spielstätte des traditionsreichen Jazzclub Nordhausen im hübschen mittelalterlichen Teil der Stadt. Danach besuchten wir im industriell geprägten Bahnhofsviertel den neuen Stern am Nordhäuser Firmament: die Kleine Freiheit. Seit zwei Jahren baut eine Gruppe Enthusiasten das Gebäudeensemble einer ehemaligen Stellmacherei zu einer sehr charmanten Kulturoase aus. Mit viel Stil und Liebe zum Detail wird hier zukünftig urbane Club- und Soziokultur geboten und selbst veranstaltet. Die Schwingungen des vorabendlichen, ausverkauften Ska-Konzerts waren noch deutlich zu spüren.
In Bad Frankenhausen schließlich war das ehemalige Bahnhofsgebäude an der inzwischen stillgelegten Strecke unser Ziel: das White Pig. Auch dieser Kulturverein residiert hier erst seit knapp zwei Jahren – das alte Domizil jedoch betrieb er schon seit 1997. Alte Hasen also. Entsprechend herzlich war auch hier der Empfang. Es gab Kaffee und selbstgebackenen Kuchen in der ehemaligen Mitropa. Wir redeten über die Schwierigkeit, in einer Kleinstadt Kultur zu machen. Und zu finanzieren. Eintritt und Getränke sind aus Prinzip günstig, eine feste Personalstelle hat hier keiner – wie alle anderen auch nicht, die wir heute besuchten. Es sind die Lust und die Freude daran, Kultur zu machen – die eigene Kultur zu machen! Für sich, die Kinder, die Alten und für alle anderen in der Stadt. Chapeau!
TOUR SÜD: Spielzeug, Glas & Koppelhunde
Lauscha – Judenbach | 24.09.2022
Unsere zweite Tour führte uns bei bestem Wetter tief ins thüringisch-fränkische Grenzgebiet. Schon während der Fahrt übt sich die Busbesatzung unter ortskundiger Anleitung von Florian Dobenecker, Chefredakteur des t.akt-magazins und gebürtiger Südthüringer, in regionaler Mundart. Er ist es auch, der uns sicher durch den Lauschaer Baustellendschungel zur Goetheschule lotste. Dort angekommen empfangen uns Toni Köhler-Terz und seine Frau Gabi vom Kulturkollektiv Goetheschule herzlich vor dem altehrwürdigen Backsteinbau und präsentieren uns gleich die neu eingebauten Fenster. Zwar hat der Verein, der das Einzeldenkmal in Erbbaupacht von der Stadt bekommen hat, in den letzten Jahren beträchtliche Investitionsmittel eingeworben – ein Ende ist jedoch nicht abzusehen. Gerade wurde die Elektrik in dem riesigen Gebäude komplett erneuert. Die Flure in den Obergeschossen sind entsprechend noch Baustelle. Trotzdem finden wieder Veranstaltungen statt. Aber es sei hart, das Publikum und die Engagierten nach der Corona-Pause wieder zurückzugewinnen. Allein im Ehrenamt sei das kaum zu stemmen, sagt Toni, der eigentlich als freiberuflicher Grafiker sein Geld verdient, in den letzten Jahren aber kaum Zeit für die Kunst gefunden hat. Allen ist klar, dass hier jemand für die Bauaufsicht und für die Kulturarbeit bezahlt werden muss, damit es weitergehen kann. Schließlich gibt es große Pläne: ein Glas-Symposium, das Glaskünstler*innen aus aller Welt nach Lauscha bringen und die großen Traditionen des Ortes aufnehmen soll – und die restlichen Fenster müssen auch noch finanziert werden.
Weiter geht unsere Fahrt ins übernächste Tal. An der alten Handelsstraße von Nürnberg nach Leipzig liegt Judenbach. Früher florierte hier die Spielzeugmacherei. Nahezu in jedem Haus wurden – im Schatten der Spielzeugstadt Sonneberg – in kleinen Werkstätten oder in Heimarbeit Spielzeuge hergestellt. Heute ist davon nichts mehr übrig. An einem Ort aber werden die Zeugnisse dieser Zeit verwahrt: in der Stiftung Judenbach, die 2017 in den Produktionsgebäuden der ehemaligen PGH „Koppelhund“ eröffnet wurde. Silke Fischer und Mike Baumgarten von der Stiftung nehmen uns herzlich in Empfang und führen uns – die Zeit ist schon ein wenig fortgeschritten – durch die Ausstellungen und die Räumlichkeiten. Neben einer umfassenden Sammlung von mechanischem Spielzeug aus Judenbach sind sicherlich die Spielzeuge, die Mikes Großvater, Ali Kurt Baumgarten, der in Judenbach geboren wurde und hier lebte, das Highlight des Hauses. „Es gibt wohl kaum ein Kind in der ehemaligen DDR, das nicht mit Tieren aus Holz oder Plaste meines Großvaters aufgewachsen ist“, sagt Mike. Und wahrlich: wir sehen die Affen, Hunde und Fische – und schwelgen in Erinnerungen. Leider wird die phantastische Ausstellung mit der expressionistischen Malerei von Ali Kurt Baumgarten derzeit umgebaut und ist nicht zu besichtigen.
Danach gibt es es Kaffee und herrlichen Kuchen im hauseigenen Café. Vor allem die „übers Knie gezogenen“ Pfannkuchen habe es uns angetan! In den Gesprächen mit Silke und Mike zeigt sich, welcher Anstrengung es bedarf, das kulturelle Angebot hier, am Rande Thüringens, aufrecht zu erhalten. Das Haus ist zwar saniert, es aber mit Angeboten und Veranstaltungen (es gibt eine Ausstellungshalle, Workshopräume u.a.) dauerhaft zu füllen, das funktioniert im reinen Ehrenamt nicht. Derzeit wollen sie einiges umstrukturieren. Neue Ideen sind gesucht! Silke hat sich gleich mal für unsere nächste Bustour nach Westthüringen angemeldet …
TOUR WEST: Malz, Maßstab & Moderne
Eisenach – Schweina | 01.10.2022
Unsere dritte Kulturbustour führte uns nach Westthüringen und stand ganz unter dem Thema kulturelle Nutzung von ehemaligen, baulich wertvollen Industriegebäuden. Als begleitenden Experten haben wir diesmal Jan Kobel eingeladen, Mitbegründer der Thüringer Initiative Industriekultur und Initiator der Umnutzung einer alten Handschuhfabrik und des Milchhofs in Arnstadt.
Erste Station ist die Kulturfabrik Alte Mälzerei in Eisenach, ein 150 Jahre altes Gebäudeensemble im Norden der Stadt. Was von außen eher unscheinbar daherkommt, entpuppt sich als wahrer Schatz. Und das in mehrfacher Hinsicht. Reinhard Lorenz, langjähriger Leiter des Jazzclubs Eisenach und des hiesigen Kulturamts, und Richard Limbert vom Musikarchiv begrüßen uns und führen uns durch die drei Bereiche des Hauses. Im Keller der Jazzclub – ein überraschend großes doppeltes Tonnengewölbe – in dem allerdings nicht nur Jazzmusik, sondern auch andere Veranstaltungsformate stattfinden. Dann der Bereich mit der beeindruckenden, fast vollständig erhaltenen und inzwischen restaurierten ehemaligen Röstereianlage, die sich über zwei Etagen erstreckt. Und schließlich das Lippmann+Rau-Musikarchiv mit seiner einzigartigen Sammlung von Tonträgern, Filmen, Dokumenten und Plakaten zur Entwicklung der populären Musik. Derzeit werden die Sammlungen und Nachlässe katalogisiert. Eine mühsame, aber spannende Aufgabe, denn immer wieder tauchen überraschende und zeithistorisch wertvolle Dokumente auf. Inzwischen platzen die zwei großen Archivräume schon aus allen Nähten. Und weitere Sammlungen warten noch im Depot … Die Pläne für einen neuen Erweiterungsbau liegen schon in der Schublade.
Weiter gehts zum KUNSTPavillon, einem ganz besonderen Ort, den viele schon zu DDR-Zeiten besucht haben: den ehemaligen Ausstellungspavillon des Automobilwerks Eisenach. 1967 in kurzer Zeit und – wie uns Peter Schäfer, Künstler und gute Seele des Objekts berichtet – am Fünfjahrplan vorbei erbaut, wurden hier bis Anfang der 1990er die hiesigen Kraftfahrzeugmodelle präsentiert. Anschließend stand der im Stil der klassischen Moderne mit großen Glasfronten errichtete Pavillon leer. Seit vielen Jahren kümmert sich nun der Verein Zentrum für Gegenwartskunst e.V. um das Gebäude. Nach der anfangs nötigen Gebäudesicherung treibt der Verein mit viel Enthusiasmus nun die denkmalgerechte Sanierung des 2018 als national bedeutendes Kulturdenkmal eingestuften Pavillons voran. Viel ist schon geschafft: die Glasfronten, der Steinfußboden, die schwebende Eingangstreppe. Viel ist noch zu tun. Und als ob das noch nicht reichen würde, finden in den Baupausen Kunstausstellungen, Workshops und kleinere Veranstaltungen statt. Ein toller Ort – wie für die Kunst und Kultur gemacht!
Draußen wartet schon unser Bus und wir müssen weiter über den Rennsteig nach Schweina, einem Ortsteil von Bad Liebenstein. Hier tut sich Außergewöhnliches. In der Kinder- und Jugendkunstschule Wartburgkreis empfangen uns Aline Burkhardt und Bea Berthold zunächst mit Kaffee und frischem Kuchen im hauseigenen Café. Dann führen sie uns durch die wunderbar hellen und großen Kursräume der 1885 erbauten ehemaligen Grundschule von Schweina. Ein Ort, an dem sich kreativ sein lässt! Doch damit nicht genug. Denn dann führt uns Aline um die Ecke auf das Gelände einer ehemaligen Fabrik, in der unter anderem Pfeifen und Maßstäbe hergestellt worden sind. Eintausend Menschen sollen auf dem über 13.000 Quadratmeter großen Komplex früher gearbeitet haben. Heute steht alles leer. Und soll, nachdem es die Stadt kürzlich erworben hat, zukünftig wiederbelebt werden. Mit einer großen Menge an Elan und Mut fassten Aline und ihre Mitstreiter:innen mitten in der Corona-Pandemie 2022 den Entschluss, eine ganze Etage mit 800 Quadratmetern als Kultur- und Veranstaltungsraum für die Stadt und die Region auszubauen und zu sanieren. Das maßstab:werk war geboren. Inzwischen sind die meisten der riesigen Fenster mit Hilfe von Patenschaften erneuert worden, der Fußboden ist fast fertig, Wände wurden eingezogen, die Elektrik erneuert, der Barbereich ist im Entstehen … Ein großes Projekt, das ohne Fördermittel nicht entstehen kann. Auch die Kommune unterstützt das Projekt als erste Etappe zur Entwicklung des gesamten Areals. Wir sind beeindruckt, ja begeistert. Und als wir später auf dem Dach des Gebäudes stehen, auf die Fachwerkhäuser und in die weite Thüringer Landschaft sehen, ist das Potential dieses Ortes greifbar.
TOUR OST: Minen, Minzgeschmack & Multitalente
Bad Klosterlausnitz – Gera | 15.10.2022
Zum Abschluss gings nach Ostthüringen. Erste Station: Bad Klosterlausnitz. Etwas außerhalb des Kurortes, auf einem ehemaligen Militärgelände, liegt die Muna – seit 1994 ein Ort für elektronische Tanzmusik, Partys und leidenschaftliche Kulturarbeit. Und auch überregional eine wichtige Adresse für Clubkultur. Ronald Plötner empfängt uns und führt uns in die Räume und über das weitläufige Muna-Gelände. Wir besuchen die Holz- und Metallwerkstatt, den riesigen Fundus mit alten Radios, Lampen und Schildern auf dem Dachboden, die Dekohölle, die Siebdruckwerkstatt, den spektakulären Holzmammut auf dem Open-Air-Gelände, aber auch die selbst gezimmerte und transportable Pfeffi-Hütte (in der derzeit aufgrund unsinniger behördlicher Vorschriften seit zwei Jahren kein Getränk mehr ausgeschenkt werden darf). Wir sind beeindruckt, mit welchem Ideenreichtum, welcher Professionalität und Liebe zum Detail hier die Projekte umgesetzt werden. Und das alles im Ehrenamt! Inzwischen sind schon die Kinder der Gründergeneration mit am Start. Und deren Kinder haben die Muna auch schon als großen Spielplatz entdeckt. Trotzdem, sagt Ronald, ist das Gewinnen von Nachwuchs gerade ein wichtiges Thema für die Muna. Bad Klosterlausnitz hat nur gut dreitausend Einwohner*innen, und die Pandemie hat ihre Spuren auch hier hinterlassen. Deshalb sei es wichtig, den Kids aus dem Ort hier die Möglichkeit zum kreativen Tun zu bieten. Die Muna ist schließlich der perfekte Ort dafür. Und vielleicht wird der eine oder die andere zukünftig Teil der großen Muna-Familie werden.
In Gera geht’s erstmal ins Clubzentrum Comma. Im Erdgeschoss bietet das Heinrichs elegante Clubatmosphäre und gleich nebenan einen tollen Freiluftbereich für laue Sommerabende und Open-Air-Veranstaltungen. Der Club hat erst im Frühjahr eröffnet. Noch sei nicht alles ganz fertig, erzählt uns der Betreiber Kay Zimmermann, so werde die Brunch & Winebar gerade ausgebaut. Für den Herbst stehen aber erstmal sehr interessante Couch-Konzerte auf dem Programm.
Im Kulturhaus Häselburg werden wir herzlich von Claudia Tittel begrüßt, die gemeinsam mit Burkhardt Schlothauer das Gründerzeithaus 2016 von der Stadt erworben hat. Seitdem ist in der ehemaligen Mädchenschule jede Menge passiert. Schrittweise wurde das Haus mit viel Stil und Achtung für die alte Bausubstanz saniert und umgebaut. Ein Großteil ist schon fertig und wird kulturell genutzt. Es gibt eine Galerie für zeitgenössische Kunst, Ateliers, Proberäume, Werkstätten, Wohnräume für Künstler*innen und Gäste, Büroräume für die Kreativwirtschaft und den Veranstaltungsraum „Altes Wannenbad“ – in dem sich gerade zwei regionale Bands für das Konzert am Abend warmspielen. Claudia führt uns durch das riesige, mehrteilige Haus – ein Labyrinth aus Fluren, Treppen und Räumen, die in einer stilvollen Kombination aus alten und neuen Elementen saniert wurden. Irgendwann verlieren wir etwas die Orientierung, was auch an der Hanglage des Hauses liegen soll. Natürlich durften wir auch die Baustellen besuchen. Gerade wird eine ganze Etage für weitere Gästezimmer ausgebaut und im Erdgeschoss werden die Räume für ein Café hergerichtet. Es ist beeindruckend, was hier schon vollbracht wurde – und was noch geplant ist. So soll ein neuer Anbau einen zentralen Eingangsbereich für das Haus schaffen.
Nach dem Besuch der Galerie mit tollen Papierarbeiten von Volker Regel, bei dem wir auch selbst kreativ werden dürfen, sitzen wir bei Kaffee und hervorragendem Kuchen in den Räumen der Kunstschule Gera, die auch in dem Gebäude ihr Domizil hat, und sprechen über gastronomische Konzepte für das neue Café. Auch hier wird deutlich, dass in der Häselburg nichts dem Zufall überlassen wird und die Realisierung neuer Ansätze einen hohen Stellenwert hat. Ein „Zentrum für neue Ideen und Perspektiven“ eben, wie sich dieser wunderbare multifunktionale Kulturort selbst nennt.
Vielen Dank an unsere Kulturpartner vor Ort, an unsere fach- und regionalkundigen Begleiter, Boris Hajdukovic für die fotografische Dokumentation, das Busunternehmen Salza Tours aus Bad Langensalza und an die Thüringer Staatskanzlei für die Förderung des Projekts!